
Von Skitouren, alpinen Abenteuern und Seilbahnglück
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Eigentlich war alles klar: Die Haute Route sollte es werden – eine Skidurchquerung von Chamonix nach Zermatt, ein Klassiker, der Traum fast jeden Skitourengehers. Lange geplant, die Vorfreude groß. Nur der Winter hatte andere Pläne. Viel zu wenig Schnee für Anfang April und frühsommerliche Bedingungen ermöglichten uns einen frühen Start in die Nordwandsaison.

Die lange, anspruchsvolle Haute Route hatten wir uns vorgenommen. Wir, das sind Markus, Robin und ich, Jonas. Dabei sollte es sogar die Variante für Puristen werden, also gänzlich ohne mechanisierte Transporte sollte es von Chamonix innerhalb von etwas mehr als einer Woche von Chamonix nach Zermatt gehen. Die Schnee- und Lawinenbedingungen im Auge diskutierten wir den halben Winter, ob unser Plan aufgehen würde, oder nicht. Schlussendlich entschieden wir uns den Versuch zu unternehmen, sollten die Bedingungen doch nur stellenweise schwierig sein. Auch eine stabile Hochdrucklage zeichnete sich ab, sodass wir beschlossen uns auf den Weg zu machen.
Die erste große Hürde, schon im Voraus, waren die Hüttenreservierungen. Kaum eine Hütte hatte im fraglichen Zeitraum noch freie Plätze. Scheinbar ist es Mode geworden Hütten über großzügige Zeiträume zu reservieren und dann kurzfristig, wenn Wetter und Bedingungen absehbar sind, entweder zu stornieren oder eben doch die lange im Voraus reservierte Übernachtung anzutreten. So war es uns bis wenige Tage vor der geplanten Tour nicht möglich ausreichend Plätze zu reservieren, um dann sehr kurzfristig doch noch auf reichlich freie Plätze zu stoßen.
Robin und ich planten eine Eingehtour zur Cabane du Tracuit und auf das Bishorn, um dann Markus auf dem Weg nach Chamonix in La Fuly einzusammeln, wo dieser sich bereiterklärte seinen Camper abzustellen. Doch schon in den ersten Stunden auf dem Winterzustieg zur Cabane du Tracuit verdichteten sich die Anzeichen, dass das mit der Skitour vielleicht eher schwierig werden würde. Ständig steinige Passagen, ganze Almwiesen oberhalb von 2000m ohne Schnee, und der Schnee, der lag, war häufig so weit umgewandelt, dass der Fahrspaß bei der Abfahrt wohl auch eher gering ausfallen würde. Entmutigt und dem Hitzschlag nahe von einer Strahlung und Wärme, die mir bisher nur im Hochsommer im hochalpinen Gelände begegnet ist, kehrten Robin und ich ins Tal zurück. Unsere Befürchtungen, die Abfahrt würde eher schlecht als recht als Fahrt durchgehen, bestätigte sich. Bestimmt ein dutzend Mal mussten wir die Ski von den Stiefeln trennen und Almwiesen, Latschen und Fahrwege zu Fuß überwinden.
Besonders Robin war dabei immer wieder aufs Neue fasziniert davon, was in der Schweiz als „kinderfreundlich“ eingestuft wird.
So trafen wir uns am folgenden Tag mit Markus und entschieden uns dafür, erstmal wenig winterlichen Bergsportarten wie Mehrseillängen am Fels im Unterwallis nachzugehen, um uns in Ruhe Gedanken über ein passendes Alternativprogramm machen zu können. Also kletterten wir die nächsten Tage einige mäßig bis gut abgesicherte Mehrseillängenrouten im Unterwallis – eine willkommene Abwechslung und eine gute Gelegenheit, die Köpfe freizubekommen und die Finger an den Felsen zu gewöhnen. Besonders Robin war dabei immer wieder aufs Neue fasziniert davon, was in der Schweiz als „kinderfreundlich“ eingestuft wird, hatten wir doch zu unserer Überraschung feststellen müssen, dass manch eine Route, die wir kletterten, im Topo eine solche Beschreibung erhalten hatte.
Als sich die Woche dem Ende zuneigte und die Motivation für weitere Klettereien im Unterwallis etwas abebbte, kam – wie sollte es anders sein – das Gespräch auf Nordwände. Immerhin kursierten auf allen möglichen Plattformen Videos und Posts, die von den zu derzeit fast perfekten Bedingungen an zum Beispiel der Eiger-Nordwand berichteten. Schnell kam bei uns die Idee auf, ebenfalls eine Nordwand zu bezwingen – wenn auch eine etwas kürzere und etwas weniger schwierige Route als die berühmt-berüchtigte Heckmair-Route am Eiger.
Nach einigem Hin und Her entschieden Markus und ich uns für die Mallory-Porter-Route an der Aiguille du Midi. Robin fühlte sich an diesem Tag nicht ganz auf der Höhe und begnügte sich damit, uns, mit Unterstützung der Seilbahn, oben mit Zelt und Schlafsäcken zu empfangen, um dann gemeinsam auf dem Gletscher das Lager aufzuschlagen. Unser Plan war einfach: Am späten Nachmittag würden wir das Zelt ganz in der Nähe der Mittelstation aufschlagen, früh schlafen und gegen 5 Uhr morgens in die Wand starten.

Der Plan ging auch erst einmal wunderbar auf: Wir fanden am nächsten Morgen bestens umgewandelten Schnee und ideale Bedingungen vor. In der Stille des Morgens stiegen wir Meter um Meter höher. Die Stellen, an denen der Fels durch den Schnee kam, waren durchaus herausfordernd, aber nicht allzu lang und im Gegensatz zum Rest der Wand dann doch einigermaßen gut abzusichern. So machten wir gut Meter und freuten uns, gut in der Zeit zu sein. Allerdings fiel uns, nach einigen Stunden und etwa der Hälfte der Wand auf, dass die sonst omnipräsenten Gondeln der Aiguille-du-Midi-Seilbahn, die normalerweise in direkter Nähe über einen hinwegschweben, nicht auftauchten. Auch um acht Uhr morgens: Nichts. Stille. Ein kurzer Blick ins Internet brachte unangenehme Neuigkeiten ans Licht: Die Bahn war am Vorabend wegen eines technischen Defekts außer Betrieb genommen worden – und würde mehrere Tage lang nicht fahren.
Damit begann ein neues Kapitel unseres kleinen Abenteuers: Wie kommen wir hier wieder weg? Der Abstieg durch das Vallée Blanche wäre zwar theoretisch möglich gewesen, aber noch spaltenreicher als er lang ist und ohne Ski keine echte Option. Die Übernachtung auf der Cosmiques-Hütte? Möglich, aber auch hier wussten wir nicht, ob die Bahn in zwei, drei oder fünf Tagen wieder laufen würde. Hüttenarbeiten gegen Unterkunft? Markus’ Bemerkung dazu: „Vielleicht suchen die ja noch einen Tellerwäscher.“


Die Möglichkeit, auf die italienische Seite zu laufen und mit der Seilbahn nach Courmayeur ins Tal zu kommen, klang verlockend – war aber ebenfalls nicht ohne Risiko: Die letzte Talfahrt der italienischen Seilbahn erwischt man nur mit einer sehr guten Zeitreserve.
Also kletterten wir, nach einer kurzen Pause, mit neuem Elan dem oberen Teil der Mallory-Porter-Route entgegen. Gerade als wir das letzte steile Schnee- und Gletscherfeld unterhalb des Grates querend erklommen, rief uns ein Techniker von der Bergstation zu: In 15 Minuten würde noch eine letzte Gondel zumindest bis zur Mittelstation fahren! Ein bittersüßes Gefühl: Einerseits Erleichterung – wir würden nicht im Notfallbiwak ohne Schlafsack die Nacht verbringen –, andererseits auch Enttäuschung: das geplante Zelten auf dem Gletscher, das kurze Zustiege zu großartigen Couloirs am Triangle du Tacul ermöglicht hätte, fiel ins Wasser.
Wir mobilisierten unsere letzten Reserven und schafften es tatsächlich rechtzeitig zur Station. Die Gondel: fast leer, nur wir zwei, ein Techniker und der Gondelführer. Eine Szene, die wohl selbst eingefleischte Chamonix-Kenner nur selten erleben.
An der Mittelstation angekommen, erfuhren wir von einem weiteren Glücksfall: Mit der kleinen, unscheinbaren Materialseilbahn würden wir bis ins Tal fahren dürfen – ein, den Mitarbeitern zu folge, gut gehütetes Geheimnis, das uns den langen Abstieg bis hinunter nach Chamonix ersparte. Die Seilbahn ist weit weniger komfortabel als die große Bahn, aber genau das macht ihren Charme aus: Im offenen Wind sitzend, von Wald und Geröllfeldern nur durch einen Stahlbügel getrennt, wurde so auch eine Seilbahnfahrt zu einem kleinen Abenteuer.
Ein kleines Missverständnis: Unser an der Mittelstation deponiertes Zelt landete erstmal wieder oben an der Bergstation.
Ein kleines Missverständnis bei der Kommunikation sorgte noch kurz für Verwirrung: Unser an der Mittelstation deponiertes Zelt landete erstmal wieder oben an der Bergstation. Doch auch das löste sich auf – dank der hilfsbereiten Gondelmitarbeiter, die uns später am Nachmittag unser Zelt ins Tal brachten.
Unser herzlicher Dank gilt dem ganzen Team der Aiguille-du-Midi-Bahn. Ohne ihren Einsatz hätten wir einen sehr langen, wirklich kalten und vermutlich ziemlich spaltenreichen Heimweg antreten müssen. So aber blieb uns am Ende vor allem eines: eine großartige Erinnerung an eine wilde Nordwand, viele kleine Abenteuer – und die Erinnerung daran, dass Flexibilität in den Bergen oft der wichtigste Ausrüstungsgegenstand ist.