2/24 – HOCHTOUREN

Hochtourenwoche in der Ortlergruppe

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Protagonisten

Lydia: Alpenbesessene und begeisternde Kursleiterin, die in zwei Welten lebt (Berge und Musik); formt aus Individualisten im Nu ein eigespieltes Team und macht jeden Teilnehmer stärker

Dominik: Ausdauermaschine, der am Wochenende auch schon mal 200 km Rad fährt und am schmalen Grat kluge Risikoabwägungen durchführt

Peter: Bergspäteinsteiger mit innerem Kind (leider nicht optimal erzogen), Bergruntergehtemporegulierer mit Vergesslichkeitstendenzen

Marcel: Individualistischer Barfußläufer mit veganem Bärenhunger, gleichzeitig Musterschüler des Kurses mit Vergesslichkeitstendenzen, Outdoorenthusiast

Ohne GoPro-Kamera über das Madritschjoch

Recht holprig fing unser Kurs in der herrlichen Ortlergruppe an: Wegen eines heftigen Unwetters mussten wir den Zustieg zur Zufallhütte im Marteller Tal um zwei Stunden nach hinten schieben. Vor lauter Enthusiasmus über das anschließend überraschend sonnige Wetter trat Lydia dann mit falschen Schuhen die Tour an und musste per Bahn nochmal zurück zum Auto. Dies gab Dominik, Marcel und Peter die Gelegenheit, sich im Bergrestaurant der Suldenbahn etwas zu beschnuppern und sich auch mit dem netten Bahnbetreiber anzufreunden. Zu allem Überfluss verlor Marcel beim Aufstieg zum Madritschjoch (3123 m) direkt zu Beginn der Tour seine, wie ich gelernt habe, sündhaft teure GoPro-Kamera. Auch seine zweistündige Suchtour war leider erfolglos. Dafür wurden wir auf dem Weg zur Zufallhütte (2264 m) mit gutem Wetter und schönen Aussichten belohnt und hatten trotz der rumpligen Umstände einen eindrucksvollen ersten Kurstag.

Dritte Veneziaspitze: Bilderbuchwechte und Steigeisenübungen

Am zweiten Tag ging es über unseren ersten Gletscher, dem Schranferner, auf die dritte Venziaspitze (3356 m), und damit auch auf unseren ersten Gipfel, den wir über eine Bilderbuchwechte erreichten. Erste beeindruckende Aussichten über die gesamten Ortleralpen versüßten uns den doch anstrengenden Aufstieg. Auf dem Weg zur Marteller Hütte (2610 m) über den Schranferner absolvierten wir noch eine Steigeisen-Übungseinheit, um anschließend Erfahrungen bei der Orientierung im weglosen Gelände sammeln. Es war ein fordernder, aber durch und durch runder Tag, den wir mit einem leckeren und wie in allen Hütten unserer Tour üblichen, dreigängigen Abendessen abschließen konnten. Bei der allabendlichen Tourenplanung beschlossen wir, nach den heutigen Anstrengungen am nächsten Tag einen Regenerationstag einzulegen und damit auf einen Gipfelanstieg zu verzichten.

Auf dem Weg von der Fürkelscharte zur Larcher Hütte

Fürkelscharte: Anspruchsvoller Aufstieg und Spaltenbergungen

Für eben diesen Regenerationstag hatten wir uns den hochalpinen Übergang via Fürkelscharte (3032 m) zur Larcher Hütte (2608 m) als Ziel gesetzt. Der Aufstieg war teilweise steil, geröllig und mit Schnee gemixt, was die Bewältigung der Scharte ordentlich anspruchsvoll machte. Die erfolgreiche Überschreitung löste dann auch bei mindestens einem Teilnehmer große Erleichterung aus. Entschädigt wurden wir mit herrlichen Ausblicken auf schneebedeckte Berglandschaften. Überhaupt hatten wir mit Schnee und Wetter während der gesamten Tour großes Glück. Bis auf den kurzen Unwetterauftakt zu Beginn hatten wir immer trockenes und meist sonniges Wetter. Und der für diese Jahreszeit unüblich (noch) viele Schnee erleichterte uns auch die Gletscherbegehungen mit angenehmer Firnauflage erheblich. Da wir einen Regenerationstag hatten (die mögliche Besteigung der Zufallspitze von der Fürkelscharte aus wurde vorerst einstimmig ausgelassen), waren wir nach Ankunft in der Larcher Hütte noch fit für Spaltenbergungsübungen und die Orientierung mit Karte und Kompass im Gelände.

Dominik und Peter bei Spaltenbergungsübungen

Palon de la Mare: Traumhafte Aussicht und wie auf einem anderen Planeten

Am vierten Tag waren wir wieder deutlich belastungsfähiger und nahmen uns direkt die Überschreitung des Palon de la Mare (3703 m) vor, was wir auch problemlos gemeistert haben. Lange, aber abwechslungsreiche Gletscherabschnitte führten uns mit immer neuen und begeisternden Perspektiven auf das Gipfelplateau. Glücklich dort oben angekommen, hatten wir das Gefühl, nun endgültig auf einem anderen Planeten gelandet zu sein. Die Aussicht über die gesamte Ortlergruppe ist unvergesslich! Von nun an zeigte sich jeden Tag das beeindruckende Dreigestirn aus Ortler, Zebruspitze und Königsspitze. Besonders die imposante Königsspitze konnten wir von allen Seiten und bei allen Lichtverhältnissen als treue Begleiterin eigentlich immer sehen. Da die vom Hüttenwirt der Larcher Hütte empfohlene Abstiegsroute vom Palon de la Mare sehr brüchig und fast schon gefährlich war, mussten wir ein ganzes Stück umkehren und fanden eine viel bessere Variante über den Fornogletscher. Der gesamte Abstieg zog sich nun mächtig und wir erreichten gegen Abend müde, aber erfüllt die Branca Hütte (2493 m). Diesen wunderschönen und anstrengenden Tag reflektierten wir dann wieder bei einem sehr leckeren Abendessen und entschieden uns für einen weiteren Regenerationstag.

Laplace-Transformation auf hohem Niveau

Der folgende Tag, unser zweiter Regenerationstag, führte uns durch das bachdurchflutete Zwischental zur Pizzinihütte (2706 m). Der Weg ging durch herrliche Wildwiesen. Dabei brachte uns Lydia ein paar essbare Wildkräuter näher. Derart gestärkt und angeregt, erklärte uns Dominik auf über 2500 m Meereshöhe, also auf recht hohem Niveau, die Laplace-Transformation. Wer diese nicht kennt, sollte dringend unter https://de.wikipedia.org/wiki/... nachschauen. Auf diese Weise aufgeschlaut, kamen wir bereits mittags an der Pizzinihütte an, wo Peter zu seinem Schrecken feststellen musste, dass er seine Softshelljacke in der Branca-Hütte vergessen hatte. Also jeweils 2,5 Stunden hin- und zurück? Nein, weit gefehlt, denn Lydia zauberte direkt eine neue und passgenaue Jacke aus ihrem Rucksack, über die sich Peter wiederum sichtbar freute. Mit Laplace-Transformation und neuer Jacke war die Gruppe aber bei weitem nicht ausgelastet und so ging es nach Kaffee und Kuchen nochmal auf den Gran-Zebru-Gletscher Richtung Königsjoch. Den Nachmittag schlossen wir mit Bergrettungsübungen ab.

Cevedale und Zufallspitze, von der Casatihütte aus fotografiert

Cevedale und Zufallspitze: Aufstieg durch ein Diamantfeld

Nun brach schon der vorletzte Tag an und bei guter Wettervorhersage hatten wir uns gleich zwei Riesen der Ortleralpen vorgenommen. Bereits um 4 Uhr morgens ging es mit Stirnlampe erst zum Langenfernerjoch, dann über die Aufstiegroute zum Cevedale (3769 m), einem majestätischen Berg, der weit in den Vinschgau hinein sichtbar ist. Ursprünglich wollten wir von der Casatihütte starten, was uns über 500 Höhenmeter gespart hätte. Da diese aber wegen Einsturzgefahr seit dieser Saison geschlossen ist, starteten wir eben bei bester Laune weiter unten . Bei Peter (und auch den anderen) überhaupt kein Problem, da er ja durch seine neue Jacke besonders beflügelt war und damit auch die kühlen Temperaturen mühelos wegstecken konnte. Dafür glitzerte der Schnee im Stirnlampenlicht wie ein riesiges Diamantfeld und es wurde ein unvergesslich schöner Aufstieg. Schon vor 9 Uhr erreichten wir den Gipfel des Cevedale, der uns eine herrliche Aussicht auf die umliegende Gletscherlandschaft bot. Hochmotiviert machten wir uns gleich zum nächsten Gipfel auf, der in direkter Nachbarschaft gelegenen Zufallsspitze (3757 m). Obwohl beide Gipfel nur rund 45 Minuten trennen und sie durch einen schönen schneebedeckten Grat verbunden sind, war es dort vorbei mit der schönen Sicht. Die umliegenden Berge waren verschwunden und selbst der Cevedale war im Nebel nicht mehr zu sehen. Im Abstieg ging es glücklich und voller Freude zurück zur Pizzinihütte, wo wir ein letztes Mal einen gemeinsamen Abend verbringen durften. Marcel hat es sich nicht nehmen lassen, beim Abendessen erneut einen veganen Hüttenkalorienrekord aufzustellen. Viel Muskelmasse muss halt auch erhalten werden.

Auf der Suldenspitze …

Suldenspitze: Rückkehr mit GoPro-Kamera und Messner-Museums-Besuch

Am letzten Tag konnten wir richtig ausschlafen und starteten erst gegen 9 Uhr in Richtung Suldenspitze (3376 m), zur letzten Gipfel- und Gletscherüberschreitung unserer Tour. Wir waren alle inzwischen so gut eingelaufen, dass uns diese Tour (fast) zu kurz und zu leicht vorkam. Anschließend ging es mit herrlichem Blick auf den Ortler und die Königsspitze zurück zur Suldenbahn. Beim Ausstieg konnte Marcel dann auch seine GoPro wieder in Empfang nehmen, die aufmerksame Berggeher bereits am Freitag der vorhergehenden Woche abgegeben hatten. Da keinem von uns der Sinn nach schneller Auflösung der Gruppe stand, haben wir die herrliche Kurswoche mit einem leckeren Apfelstrudel und dem abschließenden Besuch des Messner Mountain Museum Ortles abgeschlossen. Am nächsten Tag absolvierten Marcel und Peter sogar noch den Hoachwool-Klettersteig im Schnalstal. Marcel meisterte den ganzen Steig, inklusive der recht knackigen F-Stelle, barfuß. Das hatte er sich bei der Gletschertour dann doch nicht getraut.

Da ich ein rundes Gesamtbild zeichnen wollte, habe ich diesen Artikel mit gut einem Monat Abstand zum Ende unseres Ortlerkurses geschrieben. Aber auch jetzt wirkt unsere Hochtourenwoche immer noch sehr positiv nach. Sie ist definitiv ein großes Highlight meines an sehr vielen schönen Ereignissen nicht gerade armen Bergsommers. In den wenigen Tagen sind wir zu einem echten Team geworden, das sich von Anfang an hervorragend verstanden hat, und dies trotz oder gerade wegen der völlig unterschiedlichen Charaktere. Ich finde das Angebot des DAV großartig und es war sicher nicht die letzte DAV-Tour. Der ganz besondere Dank gilt Lydia Hilgers, die nicht nur diese wunderschöne Hochtourenwoche vorbereitet hat, sondern die uns auch fachlich auf höchstem Niveau und dazu sehr sympathisch und einfühlsam angeleitet hat.

Text & Fotos: Peter Letmathe