Erstbesteigung ohne Gipfelsicht –
Unterwegs zum Ziel der Klimaneutralität
Interview mit Manfred Brettschneider, Sektion Aachen
Georg: Manni, Du engagierst dich schon lange für den Umwelt- und Klimaschutz und bist im DAV gut vernetzt. Du bist Gründungsmitglied im AK Umwelt, Du warst bis zum August Geschäftsführer unserer Sektion und hast bis zum Frühjahr auf der Bundesebene des DAV im Expertenkreis CO₂-Bilanzierung mitgearbeitet.Wie schätzt Du die Stimmung im DAV insgesamt zur Umsetzung des Klimaschutzkonzepts ein?
Manfred: Auch wenn ich kein repräsentatives Stimmungsbild liefern kann, ist doch eines deutlich erkennbar: Alle Abstimmungen zum Klimaschutz mit seinen vielfältigen Facetten und dem Ziel, bis 2030 klimaneutral zu werden, erfolgten auf den letzten Hauptversammlungen mit überwältigender Zustimmung. Das zeugt davon, dass der Alpenverein und seine Sektionen in hohem Maße hinter diesem Konzept stehen und es befürworten.
Georg: Was ist bisher passiert?
Manfred: Was die Umsetzung angeht, sind vom Bundesverband eine Reihe von wegweisenden Maßnahmen initiiert worden. Im Fokus stehen dabei derzeit die Handlungsfelder Mobilität, Infrastruktur (Hütten, Kletterhallen, Geschäftsstellen), Verpflegung und Veranstaltungen sowie Umweltbildung und Kommunikation.
Eine Reihe von Sektionen hat schon erste beachtenswerte Maßnahmen eingeleitet – klimafreundliche Hüttenverpflegung beispielsweise oder Anreise mit der Bahn in Kombination mit Car-Sharing für die letzte Meile.
Georg: Wie kommen die Klimaschutzmaßnahmen voran?
Manfred: Meine Gespräche mit Vertretern aus anderen Sektionen ergeben ein gemischtes Bild. Ich sehe da drei Gruppen: Es gibt eine große und schnell zunehmende Anzahl von Sektionen und Menschen, die mit sehr gutem Beispiel vorangehen. Daneben gibt es eine Reihe von Menschen, die gewillt sind, Beiträge zu leisten, aber im Moment noch nicht wissen, wie sie es angehen sollen. Und schließlich gibt es auch solche, die sich schwertun, sich dem Thema zu nähern.
Man spürt auch die Befürchtung, den geliebten Bergsport einzuschränken oder gar nicht mehr ausüben zu dürfen. Doch genau das ist nicht das Ziel der DAV-Klimaschutzanstrengungen. Es geht vielmehr darum, unser Verhalten so anzupassen, dass wir unseren Bergsport klimafreundlich ausüben. Bei der Anreise, vor Ort oder wo auch immer. Das wird sicher an einigen Stellen auch Verzicht bedeuten – aber nicht Verzicht auf den Bergsport an sich, sondern Verzicht auf nicht wirklich notwendigen Komfort und Annehmlichkeiten.
Das Wichtigste in Stichworten:
„Klimaneutral bis 2030“ – Fahrplan und Überblick:
• Klimaschutzstrategie: Sie legt das Ziel (Klimaneutralität) fest und betont dabei das Grundprinzip: Vermeiden vor Reduzieren vor Kompensieren.
• Klimaschutzkonzept: Es beschreibt die grundlegenden Schritte für die Zielerreichung: die Emissionsbilanzierung, den Klimafonds, die Zwischenziele und Selbstverpflichtungen.
• Emissionsbilanzierung: Ab 2023 soll jede Sektion die CO₂-Emissionen berechnen, die bei den Aktivitäten des Vorjahres entstanden sind. Aus dieser Bilanz ergibt sich (durch einen DAV-internen CO₂-Preis), wieviel Geld die Sektion für CO₂-Reduzierungsmaßnahmen einsetzen muss.
• Klimafonds: Er stellt auf Antrag zusätzliche Mittel für Klimaschutzmaßnahmen der Sektionen zur Verfügung und speist sich aus der Klimaeuroabgabe im Mitgliederbeitrag.
• Zwischenziele: 2026 soll der CO₂-Ausstoß im Vergleich zur Erstbilanz um 30 Prozent reduziert worden sein. Weitere Zwischenziele werden später formuliert.
• Selbstverpflichtungen: Ab 2022 sind Kurzstreckenflüge (unter 1.000 km) bei DAV-Veranstaltungen tabu, und ab 2023 darf in DAV-Einrichtungen nur noch zertifizierter Ökostrom verwendet werden.
Mehr Informationen findest Du hier:
alpenverein.de/natur/wir-fuers-klima/
Georg: Wie motivierst Du Dich selbst und auch andere, um immer weiter am Ball zu bleiben?
Manfred: Wir müssen etwas tun. Gerade in den Bergen merken wir doch noch viel mehr, dass Dinge aufgrund der Klimakatastrophe aus den Fugen geraten. Die Erwärmung in den Alpen zeigt sich stärker als im Flachland, die Gletscher schmelzen rapide, der Permafrost bildet sich massiv zurück. Touren werden immer schwieriger und risikoreicher, weil sich Gletscher immer schlechter überqueren lassen sowie Steinschlag und sonstige Abbrüche zunehmen. Hütten müssen geschlossen werden, weil der Untergrund instabil wird.
Dass man vor diesen enormen Herausforderungen Angst hat, finde ich mehr als verständlich. Denn uns fehlen die Erfahrungen, wie man dieses existentielle und zugleich komplexe Problem angehen kann. Doch statt in Angststarre zu verfallen, können wir die Herausforderungen auch Schritt für Schritt angehen. Für mich ist das der einzig richtige Weg.
Georg: Wie können diese Schritte aussehen?
Manfred: Wir wissen noch nicht, welche Schritte und Maßnahmen im Einzelnen richtig sind. Aber wir müssen starten und nach den richtigen Wegen suchen. Ich vergleiche diese Herausforderung mit einer Erstbesteigung. Mit der besonderen Schwierigkeit, dass wir den Gipfel gar nicht sehen, weil er zu großen Teilen im Nebel liegt und wir somit auch nicht den richtigen Weg antizipieren können. Und da noch keiner oben war, gibt es natürlich auch keine Führungsliteratur.
Aber wir müssen diesen Berg besteigen und zwar jetzt. Da ist es sinnvoll, diesen Berg von verschiedenen Seiten „anzugehen“, möglichst viele verschiedene Routen auszuprobieren. Dabei wird es immer wieder Seilschaften geben, die einen zunächst vielversprechenden Weg einschlagen, der sich dann aber nicht als der richtige erweist. Dann geht man halt wieder zurück und versucht es erneut auf einem anderen Weg – und hofft, dass andere Seilschaften zwischenzeitlich vielleicht einen besseren Weg gefunden haben. Bis das Gipfelziel erreicht ist.
Im DAV und in all seinen Sektionen werden wir noch viele Hürden nehmen müssen, Fehler und Umwege in Kauf nehmen und auch Rückschläge verkraften müssen. Aber wir sind über 1,4 Millionen DAV-Mitglieder in Deutschland. Wenn jede und jeder versucht, den Einsatz für Klimaschutz zum selbstverständlichen Teil des Alltags zu machen, dann kommt da ein enormes Veränderungspotenzial zusammen, auch über den DAV hinaus. Wenn wir unser Verhalten verändern, und sei es zunächst auch nur schrittweise und im Kleinen, regen wir damit andere zum Nachdenken und Nachahmen an und können schließlich auch die politische Meinungsbildung mit beeinflussen. Wir können einen großen Beitrag für den dringend notwendigen Wandel leisten.